Es ist Ende
Februar, kein Mensch weit und breit. Er hat sich ein Fahrrad geliehen
und kämpft sich die Straße zum Cap de Barbaria hinauf, in seinem Alter
schon eine rechte Quälerei. Dann endlich die rasante Abfahrt zum
Leuchtturm, und er hofft nur, dass die Bremsen auch kräftig zupacken.
So mancher soll hier, glaubt man den Erzählungen, ungebremst über die
Klippen einige Dutzend Meter in den Abgrund gerauscht sein.
Am
Leuchtturm stellt er das Rad ab und denkt übermütig, dass man mit
diesem überraschend gut gewarteten Gerät morgen ja auch mal die
Serpentinen zur La Mola in Angriff nehmen könnte.
Er
geht ein paar Schritte und setzt sich an den Rand der Steilküste. Er öffnet
ein San Miguel, teilt sich die Doughnuts, die er vorhin bei den „Brüdern“
in Sant Francesc im Sonderangebot erworben hat, mit einer Seemöwe, die
sich ihm vorsichtig nähert, und den Eidechsen, die etwas forscher sind.
Das Cap ist erstaunlich grün, nicht diese Geröllwüste wie später im
Jahr. Blüten, die aus riesigen, kindskopfgroßen Zwiebeln sprießen, kämpfen
mit dem Wind. Er saugt die salzhaltige Luft in sich hinein, es riecht
schon nach Frühling. Und die Luft ist klar, unbeschreiblich klar.
Der
Wind wird stärker und störend. Er steigt durch das Loch in die Höhle,
findet 100 Pesetas, die ein Tourist vor Jahren hier verloren haben muss,
und setzt sich auf den Balkon. Eine der wilden Ziegen muss unvorsichtig
gewesen sein, denn weiter unten auf den Klippen erkennt er das, was Möwen
und Raben von ihr übrig ließen.
Er
schaut über das Meer, hängt seinen Gedanken nach, und plötzlich –
natürlich hat er wieder Brille und Fernglas nicht dabei. Er kneift die
Augen. Kein Zweifel – am Horizont ist Land zu sehen. Er kennt das: er
sah vor Jahren von der dänischen Insel Langeland seine Heimatstadt,
aber die war nur 35 Meilen entfernt. Er kennt natürlich auch die
Geschichte, dass man an klaren Tagen vom Cap Afrika sehen kann. Er hielt
das aber für eine dieser schönen Legenden über diese Insel, wie die
von Sigurd, dem Normannen oder die über Astarte am Trucadors. Aber er
sieht Land und – soweit kennt er sich aus in Geographie – zwischen
Formentera und Afrika liegt nur das Meer.
Der
Wind wird stärker, heulend, er schmerzt in den Ohren. Und
unvermittelt
durchzuckt ihn der Gedanke: „Mein Gott, hier war ich doch schon
mal!“
Als
er sich viel später aus dem Loch wuchtet, hat sich der Wind gelegt und
er hat Tränen in den Augen und weiß nicht warum. Eine wilde Ziege, die
nicht darauf gefasst war, hier und jetzt auf einen Menschen zu treffen,
dreht ab zur Flucht, bleibt plötzlich stehen, schaut ihn lange mit schrägem
Kopf an - und geht dann zögernd auf ihn zu.
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Hans-Lothar Klatt |